Nach zweieinhalb Wochen Brasilien und einer 26-stündigen Rückreise landete Paula (13 Jahre, TG Reni) am 11.05.22 als erste Teilnehmer*in bei Deaflympics in der Geschichte der Wasserfreunde und der Poelchau-Schule wieder in Berlin. Zudem war sie die jüngsteTeilnehmer*in aller Athlet*innen aller Sportarten und aller teilnehmenden Nationen dieser Deaflympics. [Foto Interview-2]
Die offiziellen und vom IOC anerkannten olympischen Spiele der Gehörlosen („deaf“ = Englisch für taub, gehörlos) finden seit 1927 immer im Jahr nach den Olympischen und Paralympischen Spielen statt, aufgrund Corona wurden auch die 24. Sommer-Spiele um ein Jahr auf den 01. – 15.05.2022 verschoben. Dieses Jahr nahmen rund 5.000 gehörlose Athleten aus 77 Nationen in 26 Sportarten an den Wettkämpfen teil.
Paula repräsentierte Deutschland als eine von nur drei nominierten Schwimmer*innen und von insgesamt 75 Deutschen Athlet*innen des Deutschen Gehörlosen Sportverbandes. Aufgrund der notwendigen Zeit- und Klimaanpassung reiste das Schwimmteam bereits eine Woche vor Beginn der Wettkämpfe nach Caxias do Sul im Südwesten Brasiliens, dem Austragungsort der diesjährigen Sommer Deaflympics. Auch Bundespräsident Steinmeier wünscht den deutschen Gehörslosen Sportler*innen viel Erfolg.
Unterstützt u. a. von der Physiotherapeutin des Schwimmteams hatten die Schwimmer*innen bereits am Abend des Ankunftstages als Ausgleich für die Reisestrapazen die Möglichkeit, in der Wettkampfhalle einige Bahnen zu schwimmen.
Untergebracht war die insgesamt 135-köpfige deutsche Delegation im Sky Samuara, einem Hotel ca. 15 km außerhalb des Stadtzentrums, sehr abgeschieden und im Wald versteckt. Aus Covid 19- Schutzgründen waren alle größeren Delegationen in eigenen Hotels untergebracht. Ebenfalls aus Hygieneschutzgründen reisten die Deutschen Teilnehmer*innen nach Sportarten getrennt zwischen dem 23. (Schwimmen und Delegationsstab) und 30. (Leichtathletik) so spät als möglich an und unmittelbar am Tag nach dem jeweils letzten Wettkampf wieder ab.
Kontakt zu Sportler*innen aus anderen Nationen bestand somit leider nur in den Sportstätten, in den Bussen und im Deaflympic-Square, dem zentralen Veranstaltungszentrum mit Besprechungsräumen, Speisesälen und dem zentralen Deaflympics-Busbahnhof. Die Bustransporte waren als Stern organisiert, die Busse fuhren stündlich von den einzelnen Hotels und Sportstätten zum Square bzw. in die andere Richtung.
In der Woche vor den Wettkämpfen standen für die Schwimmer*innen und den Trainer dann die Gewöhnung an die Halle (Beckentiefe auf den Kopfseiten nur 1,5 Meter !!), die Startblöcke (nicht unbedingt europäischer Standard), die (lokalen) Rückenstarthilfen, die Lichtstartanlage, das Klima und den Tagesablauf auf dem Programm. An den meisten Tagen wurden zwei Trainingseinheiten durchgeführt.
Das Wetter war kühl, tagsüber oft Regen bei 14 Grad, nachts ging die Temperatur bis auf 6 Grad runter. Aber es gab auch vereinzelte Tagen, an denen das Wetter dem entsprach, was man sich in Deutschland gemeinhin als „brasilianisch“ vorgestellt hatte, Sonne, blauer Himmel und bis 22 Grad. Der meistgenutzte offizielle Ausrüstungsgegenstand war und blieb aber die Regenjacke.
Am Sonntagabend, dem 01.05., fand die Eröffnungsfeier statt. Als deutlichstes Zeichen der gesellschaftlichen Anerkennung der Gehörlosen in Brasilien hielt neben vielen anderen Michelle Bolsonaro, die Ehefrau des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro ihre 15-minütige Rede ohne Dolmetscher in fließender und fehlerfreier Gebärdensprache. Paula durfte als Mitglied der Deutschen Fahnenabordnung in die Halle einmarschieren, vor rund 10.000 jubelnden Menschen ein sicherlich unvergesslicher Moment.
Am Montagmorgen, 02.05., begann dann der Schwimmwettkampf mit immer dem gleichen Tagesablauf an 8 aufeinanderfolgenden Tagen:
6 Uhr Wecken, 6:45 Frühstück, 7:30 Abfahrt zur Schwimmhalle, 8:30 Uhr Erwärmung und Einschwimmen, 10:00 Uhr Beginn Vorläufe, 12:00 Abfahrt ins Hotel, Mittagessen, Physiotherapie, Ausruhen, Sachen umpacken, 16:15 Uhr Abfahrt Schwimmhalle, 17 Uhr Erwärmung und Einschwimmen, 18:30 Beginn Finals, 20:30 Rückfahrt zu Hotel, Abendessen, Physiotherapie, Sachen aus- und umpacken und das Licht ging dann verständlicherweise nicht später als 22 Uhr aus.
Gegen Ende konnte man die Anstrengung und Müdigkeit in allen Gesichtern erkennen, sowohl Sportler*innen als auch Trainer*innen, Betreuer*inne und Physiotherapeut*innen aller teilnehmenden Mannschaften. 8 Tage Wettkampf ohne Pause sind ein sehr langer und sowohl physisch als auch psychisch stark belastender Zeitraum.
Auch wenn die drei Deutschen Schwimmer*innen schon rein zahlenmäßig nicht mit anderen Schwimmteams (USA 12, Ukraine sogar 17 Schwimmer*innen) mithalten konnten, waren die Leistungen des kleinen Teams jedoch unter diesen Umständen herausragend:
3 Schwimmer*innen (Alter 20, 18, 13)
Natürlich bestanden bei Paula seitens des Bundesinnenministeriums (Geldgeber) und des Deutschen Gehörlosen Sportverbandes keine Medaillenerwartung, das offiziell vorgegebene Ziel lautete vielmehr: Erfahrung für die Zukunft sammeln und möglichst einmal nicht Letzte werden.
Dieses Ziel übererfüllte Paula deutlich: 7 Wettkämpfe, 5x Finalteilnahme, 2x 5. Platz über 50 B und 200 B, 1x 6. Platz über 100 R, 1x 7. Platz über 50 R und 1x 8. Platz über 100 B konnten und wurden von niemandem im Vorfeld erwartet. Zudem stellte sie 11 Gehörlosen Altersklassenrekorde auf.
Für die Medaillen waren die Männer zuständig: Lars Kochmann, SSV 70 Halle Neustadt war mit gleich 3x Silber über 50 B, 50 R und 100 R und sowie 1x Bronze über 50 F der erfolgreichste Einzelathlet aller Deutschen Teilnehmer*innen, während Niklas Müller, SC Wiesbaden seinen Ruf als Langstrecken-Spezialist mit 2x Bronze über 800 F und 1500 F festigte. Lars stellte bei seinen Erfolgen auch noch einen Gehörlosen Europarekord und 5 Gehörlose Deutsche Rekorde auf.
Am Montagabend, dem 09.05., war dann in der Schwimmhalle das große Verabschieden der Schwimmer*innen untereinander angesagt, nahezu alle sind am nächsten Morgen abgereist. Auf dem Flug von Porto Alegre nach Sao Paula saßen am Dienstag im selben Flugzeug mit den Deutschen Schwimmer*innen auch die Schwimmteams der Ukraine, Litauens, Finnlands und Kroatiens. Aber vorher verabredete man sich noch für die nächste Gehörlosen-Langbahn-WM in Argentinien 2023.